Dieser Artikel wurde von David Hembrow verfasst und erschien ursprünglich in seinem englischsprachigen Blog „A View from the Cycle Path“ im Oktober 2014.
Übersetzung: Autofreies Kreuzberg
Ich kann schon nicht mehr zählen, wie oft mir Menschen erzählen wollen, dass die Straßen ihrer Stadt zu schmal für Fahrradwege wären. Die drei Wörter „nicht genug Platz“ werden wiederholt, als wären sie ein Mantra (siehe auch Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung in Berlin in der taz.)
Viele glauben ernsthaft, dass niederländische Städte mit breiteren Straßen gebaut wurden und dass deswegen hier mehr Platz wäre als in anderen Ländern. Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Wenn man sich ältere Städte wie Assen (über 750 Jahre alt) anschaut, findet man viele schmale Wege, wie auch in jeder anderen Stadt in anderen Ländern. Neue, breitere Straßen in den Niederlanden sind oft ähnlich breit wie neue, breite Straßen woanders. Es ist die Nutzung des zur Verfügung stehenden Raums, die sich unterscheidet, nicht die Breite der Straßen an sich.
Im Foto oben sieht man eine der Straßen in Assen (2014). Ganz eindeutig gibt es „nicht genug Platz“ für Autos. Wenn man Straßen wie diese sieht, denkt man schnell, dass hier noch nie viel Platz war und die Straße deswegen schon immer so aussah.
Das stimmt aber nicht. Ein Rückblick ins Jahr 1957 zeigt, dass die gleiche Straße komplett anders aussah. Hier war eine asphaltierte, stark befahrene Durchfahrtsstraße mit Fahrzeugverkehr in beiden Richtungen. Die Lücke zwischen den beiden Gebäuden sieht schmal aus, aber sie ist tatsächlich breit genug für so viel Verkehr – solange man sich nicht daran stört, dass Fußgänger nur an wenigen Stellen kreuzen können und nur auf einer Seite sicher gehen können.
Auffallend ist auch, dass es keinen Platz für sicheres Radfahren gab. Fahrradfahrer mussten zusammen mit Lastwagen, Bussen und Autos die Straße benutzen. Inzwischen fährt auf dieser Route auch kein Bus mehr.
Ich kann mir vorstellen, dass das vielen Lesern in anderen Ländern bekannt vorkommen wird – ähnlich wie den niederländischen Radfahrern in den 50er Jahren.
Ein Beobachter in den 50er Jahren in den Niederlanden hätte wahrscheinlich gesagt, dass die Straße „nicht genug Platz“ für eine Fahrradspur hätte – also genau das Gleiche, was Menschen heute über ihre Straßen sagen. Und sie hätten natürlich Recht, wenn man davon ausgeht, dass sie immer die gleiche Zusammensetzung des Verkehrs zu tragen hätte wie die Straßen in Assen 1950.
Also wo kam der Platz für Menschen, Fußgänger wie Radfahrer, her? Er kam von direkt unterhalb der Autos. Eine zweite Revolution auf den niederländischen Straßen war nötig, um die Dinge zu ändern. Eine Entscheidung wurde getroffen, um echte Veränderung zu erreichen. Nicht nur auf ein paar Straßen, sondern in vielen Städten und sogar im ganzen Land. Der Verkehr wurde umgeleitet, so dass Wohngebiete und Stadtzentren wieder von Menschen genutzt werden konnten.
Während die Straßen von Autos dominiert wurden, ging der Fahrradverkehr in den Niederlanden stark zurück – kaum überraschend. Die Transformation der Städte drehte diese Entwicklung um. Wenn man auf diese Fotos schaut, drängt sich der Vergleich auf: wie sicher und angenehm war es damals durch Assen Fahrrad zu fahren und wie sicher und angenehm ist es jetzt?
Viele Menschen glauben, dass niederländische Städte irgendwie mehr Platz hätten als andere. Wie man auf diesen Fotos sieht, ist das nicht so. Eine großflächige Planung hatte in Assen und den ganzen Niederlanden stattdessen jeder Straße einen definierten Zweck gegeben – statt alle Wege irgendwie als Durchgangsstraße für den Autoverkehr nutzbar zu machen. Der motorisierte Verkehr wurde nicht über alle Mobilitätsarten priorisiert, sondern es wurde sorgfältig überlegt, wo Autos fahren sollten und wo nicht. Stark befahrene Straßen gibt es immer noch, aber sorgfältiges Kreuzungsdesign verhindert Konflikte.
Straßen, in denen sich Fußgänger und Radfahren bewegen sollten, wurden so umgebaut, dass keine Autos mehr dort fuhren.
Als Umgehungsstraßen gebaut wurden, wurden die alten Hauptstraßen zu luxuriösen Fahrradrouten umgebaut – fast vollständig kreuzungsfrei, in der Regel durch Tunnel.
Als eine neuer Fahrradweg benötigt wurde, um Radfahrer zügig von einem neuen Wohngebiet in die Stadt zu bringen, wurde die alte Direktverbindung den Autos entwidmet und sie gezwungen, einen Umweg zu fahren.
Autofahrer werden durch ein spezielles Einbahnstraßensystem von der Innenstadt ferngehalten. Die davor am meisten befahreren Straßen der Innenstadt waren dadurch frei für Fußgänger und Radfahrer. Ein ähnliches Netzwerk von Einbahnstraßen wird in Wohngebieten genutzt.
Läden haben Fahrradparkplätze direkt vor Tür, Autoparkplätze sind notwendigerweise größer und weiter entfernt.
Zusammen mit einem weiten Netzwerk von qualitativ hochwertigen Fahrradwegen haben diese Änderungen dazu geführt, dass Fahrradfahrer fast zu 100% von Autofahren getrennt fahren. Fahrradrouten sind meistens von Autostraßen entkoppelt, dadurch haben Radfahrer weniger Lärm- und Abgasbelästigung, weniger Gefahr und kürzere Wege. Deswegen ist Fahrradfahren für die gesamte Bevölkerung sehr attraktiv.
Es war natürlich nicht nur Assen, sondern sondern alle niederländischen Städte, die dies taten und sie waren alle erfolgreich. Nichts hält andere Länder davon ab, es genau so zu machen. Es gibt keine bessere Zeit als jetzt, um in anderen Ländern eine ähnliche Veränderung zu beginnen!
Radinfrastruktur Studienreisen
Sehen Sie selbst, die erzielten Ergebnisse, und besuchen Sie diese Orte! David Hembrow, Autor der englischen Originalversion dieses Blogbeitrags, veranstaltet regelmäßige Studienreisen für Politiker, Planer und Aktivisten aus allen Ländern und zeigt ihnen die beste Fahrrad-Infrastruktur der Welt.
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