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Radverkehrsanteil in Berlin – Statistik vs. Wirklichkeit

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf meinem englischsprachigen Blog im Juni 2015.

Übersetzung: MHW
Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler

Radfahrende hatten in dem Berliner Stadtteil, wo ich wohne, 2008 angeblich einen Verkehrsanteil (Fachwort: modal split) von 17 Prozent, dieser Anteil sei nun auf über 20 Prozent gestiegen.

In Rotterdam hatten Fahrräder im Vergleich dazu einen Anteil von 26 Prozent; und damit den niedrigsten Wert von allen niederländischen Städten. In meinem Berliner Stadtteil habe ich nicht den Eindruck, dass der Anteil der Fahrräder nur annähernd so hoch ist wie in Rotterdam.

Verkehrsstatistiken lassen sich nur schwer vergleichen, da verschiedene Städte und Länder verschiedene Methoden verwenden. Ich habe gehört, dass man in Berlin die Zahl der Fahrradfahrer an einem schönen Sommertag erhebt, und das erscheint mir glaubhaft. Es ist ausgeschlossen, dass der Fahrrad-Modal-Split in Berlin auch nur annähernd so hoch ist wie in Rotterdam; das gilt sogar für die Stadtmitte.

Wahrscheinlich könnte man in Berlin einige Straßen oder Brücken finden, auf denen Radfahrer während des Stoßverkehrs einen hohen Anteil des Gesamtverkehrs ausmachen, wie man es auch in London beobachten kann, doch das ist nicht der Modal Split. Er ist ein Durchschnitt über das ganze Jahr und umfasst alle Verkehrszwecke – er ist nicht der Anteil von Fahrradpendlern in einer beliebten Straße im Sommer.

Der Radfahreranteil im Pendlerverkehr entspricht gewöhnlich etwa dem Doppelten des Radfahreranteils im Gesamtverkehr. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Pendler bekannte Wege nutzen, auf denen sie wissen, wie sie mit unangenehmen Teilstrecken zurecht kommen. Dazu kommt das Gefühl „der Sicherheit der großen Zahl“, weil viele Leute gleichzeitig mit dem Rad unterwegs sind. Zu anderen Tageszeiten in unvertrauten Gebieten zu radeln, zusammen mit weniger beherzten oder abenteuerlustigen Radfahrern, ist einfach nicht dasselbe.

Auch das Wetter hat einen Einfluss auf den Radfahreranteil, vor allem wenn die Infrastruktur mangelhaft ist. Bei hellem und freundlichem Sommerwetter und trockenen Straßen kann man sich leicht aufs Rad schwingen und losfahren. Im Winter sind die Straßen oft nass und glitschig, im Dunkeln sieht man schlechter und man wird leichter übersehen, und vielleicht engt eine Kapuze die Sicht ein. Diese Faktoren verwandeln das Radfahren von einer passablen Möglichkeit zu etwas Gefährlichem und Unattraktiven.

Doch wenn die Infrastruktur stimmt, sind diese Faktoren weniger wichtig. Wenn die Radwege zum Beispiel fein asphaltiert sind, ist die Gefahr, bei Regen auszurutschen, viel kleiner. Auf guter Radinfrastruktur muss man nicht ständig wachsam sein, und dann ist auch eine Kapuze weniger hinderlich.

Der Trend zu mehr Radverkehr in Berlin ist eindeutig. Aber die mangelhafte Infrastruktur in der Hauptstadt verhindert, dass das Fahrrad wirklich zum Massenverkehrsmittel wird, wie es in den Niederlanden der Fall ist.

Radfahren im Winter in Berlin

Ich filmte den Clip unten am Dienstag, 3. Februar 2015 um 17 Uhr auf einer der Radhauptachsen aus dem Stadtzentrum nach Norden. An diesem Ort würde man sogar im Winter viele Leute auf Fahrrädern erwarten.

In Bezug auf den Verkehrsanteil ist die Schönhauser Allee recht interessant, weil diese Hauptachse fünf verschiedene Verkehrsarten führt.

  • In der Straßenmitte fährt eine erhöhte U-Bahn.
  • Es gibt Straßenbahnlinien in beide Richtungen.
  • Kraftfahrzeuge fahren und parken in beiden Richtungen.
  • Auf jeder Straßenseite gibt es einen geschützten Radweg (von mäßiger Qualität).
  • Auf beiden Straßenseiten hat es breite Fußwege.

Du kannst also das Video anschauen und selbst den Modal Split schätzen. Die U-Bahn fährt in der Ecke oben links. Du siehst die Straßenbahn. Du kannst alle Kraftfahrzeuge zählen und auch die sehr kleine Zahl von Radfahrenden.

So ist es: Kaum jemand ist mit dem Rad unterwegs. Auf einer Hauptachse zur Hauptverkehrszeit in einer Hauptstadt, die angeblich die zwölftbeste Stadt für Radfahrer weltweit ist.

Man kann auch sehen, wie viele Radfahrer die schlecht gestaltete Infrastruktur umschiffen, weil sie sie unnötig behindert, zum Beispiel beim Abbiegen.

Vergleiche das mit dem Video aus Utrecht von Mark Wagenbuur: Eine ganz andere Menge von Radfahrern, auch dank viel besseren Voraussetzungen, trotz größerer Straßenarbeiten zur gleichen Zeit.

Die Aufnahmen wurden im April gemacht, es war also etwas wärmer, doch selbst so wird klar, dass der Radverkehr in Utrecht in einer ganz anderen Liga spielt und nicht nur ein paar Prozentpunkte höher liegt.

Selbst im Sommer dürfte der echte Verkehrsanteil von Radfahrern in Berlin 15 Prozent insgesamt kaum übersteigen – für eine vorwiegend flache Stadt, in der fast alle das Stadtzentrum in 30 Minuten mit dem Rad erreichen können, ist das ein beklagenswert niedriger Anteil.

Jetzt im Sommer ist das Radfahren in Berlin deutlich angenehmer. Bei meinem Ausfahrten bin ich nicht mehr der einzige Radfahrer in einer Blechlawine. Auf den richtigen Routen kann es sogar Spaß machen. Doch wir sollten das nicht mit dem Modal Split verwechseln.

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Wer sonst noch von der niederländischen Fahrrad-Infrastruktur profitiert

Dieser Artikel wurde von Mark Wagenbuur verfasst und erschien ursprünglich in seinem englischsprachigen Blog „Bicycle Dutch“ im Dezember 2012.

Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler

Hin und wieder zeigt eins meiner Videos jemanden mit einem Elektromobil auf dem Radweg. Für die meisten Niederländer das ist nichts Besonderes, und das wird von mir normalerweise ganz zufällig gefilmt.

Menschen mit Behinderungen dürfen rechtlich alle Arten von Fahrzeugen auf Radwegen verwenden – vom Elektromobil bis zu handbetriebenen Dreirädern. Somit können sie sicher umherfahren, ohne auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Anders gesagt bieten Radwege Menschen mit Behinderungen eine große Freiheit, dorthin zu gelangen, wohin sie wollen.

Elektromobile und andere Fahrzeuge für Menschen mit Behinderungen auf niederländischer Fahrrad-Infrastruktur.

Die Gesetze für Behindertenfahrzeuge sind in Europa sehr unterschiedlich. In den Niederlanden haben Elektromobile mehrere Möglichkeiten: Sie dürfen mit 45 km/h auf der Fahrbahn fahren, was nur ein bisschen langsamer ist als der Kfz-Verkehr (50 km/h). Sie können aber auch das umfangreiche Radwegenetz verwenden. Auf diesen Wegen dürfen sie innerorts bis zu 30 km/h schnell fahren. Das wäre deutlich schneller als viele niederländische Radfahrer. In der Realität benutzen die meisten Menschen mit Elektromobilen die Radwege mit etwa der gleichen Geschwindigkeit wie die Radfahrer (20 km/h), sodass sie sich schön einfügen.

Da Elektromobile die gut gestaltete niederländische Radinfrastruktur verwenden dürfen, haben Menschen, die nicht in der Lage sind, Fahrrad zu fahren, die Freiheit, von Ort zu Ort zu reisen, auf unabhängige und sehr sichere Weise. Das ist etwas, das ihre Lebensqualität stark verbessert.

Ich weiß das aus erster Hand. Als mein Vater nach einer Reihe von leichten Schlaganfällen sein Gleichgewicht nicht mehr halten konnte und damit die Fähigkeit verlor, Fahrrad zu fahren, wechselte er zu einem Elektromobil, mit dem er dorthin fuhr, wohin er wollte oder musste. Er konnte beispielsweise weiterhin seiner ehrenamtlichen Arbeit im Utrechter Dom nachgehen, wo er Touristen begrüßte und leichte Verwaltungsarbeit erledigte.

Mit dem Elektromobil konnte er alle Arten von Kurzstrecken bewältigen, noch fast 10 Jahre, bis seine Krankheit die Teilnahme am Straßenverkehr schließlich unmöglich machte. Das waren 10 zusätzliche Jahre, in denen er einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leistete, was sehr wichtig ist für das Wohlbefinden von Menschen und damit für die Allgemeinheit.

Der Nationale Gesundheitsdienst der Niederlande liefert die Elektromobile für die meisten Menschen, und manchmal kommen die Kommunen für die Kosten auf, oder sie vermieten die Fahrzeuge für längere Zeiträume. Elektromobile werden vor allem denjenigen zur Verfügung gestellt, die noch kurze Strecken laufen können. Wenn die Fahrzeuge nicht mehr verwendet werden, müssen sie manchmal zurückgegeben werden.

Nach niederländischem Recht werden Rollstühle wie Fahrräder behandelt und Elektromobile wie Mofas oder Motorroller. Aber die Niederländer nehmen die beiden Fahrzeugarten sehr unterschiedlich wahr. Während sich viele Leute über zu schnell fahrende Motorroller oder Mofas auf den Radwegen beschweren, beklagen sich nur sehr wenige über Behindertenfahrzeuge.

Ich denke, dass viele Niederländer einen Angehörigen oder eine andere nahestehende Person haben, die abhängig von einem Elektromobil ist. Sobald man merkt, wie wichtig so ein Fahrzeug für manche ist, teilt man den Radweg sehr gerne mit Leuten auf einem Elektromobil oder einem anderen Behindertenfahrzeug.

Neben dem Fahrer eines Elektromobils zu radeln, ist so alltäglich, dass es auch als Bild in der Werbung benutzt wird, wie man in diesem Video sehen kann. Mit dem Film sollen Menschen ermutigt werden, ein Maatje (Kumpel) von jemandem zu werden, der ein Behindertenfahrzeug nutzt.

Mitglieder des Elektromobil-Vereins Eindhoven testen den Fahrradbrücke »Hovenring«

Mitglieder des Elektromobil-Vereins Eindhoven testen den Hovenring

In den ganzen Niederlanden gibt es Clubs für Menschen mit Elektromobilen, die gemeinsame Touren unternehmen. Als der Hovenring in Eindhoven gebaut wurde, bat man die lokale „Scootmobiel vereniging“, die Steigung der Zugänge zu testen.

Fazit: Von guter Fahrrad-Infrastruktur profitieren nicht nur Menschen aller Altersgruppen, die mit dem Rad fahren wollen, sondern auch Fußgänger, die durch Radwege besser vor dem Kraftverkehr geschützt sind. Außerdem steigern Radwege die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen. Kurzum, Radwege sind gut für die Gesellschaft.

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