Dieser Artikel erschien ursprünglich auf meinem englischsprachigen Blog im August 2015.
Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler
Dies ist ein Gastbeitrag, der mit Hilfe eines dänischen Freundes entstand. Er lebte 2015 für fünf Monate bei uns. Mittlerweile ist er wieder nach Dänemark umgezogen. Bevor er zurückkehrte, habe ich ihn nach seinen Gedanken über das Fahrradfahren in Berlin befragt. Seine Antworten habe ich aufgeschrieben und in thematische Abschnitte unterteilt. Die Bildunterschriften stammen von mir.
Über die Gestaltung der Berliner Radwege
Eine meiner ersten Erfahrungen mit der Berliner Fahrradinfrastruktur war als Fußgänger. Ich spazierte in aller Seelenruhe über einen Radweg – unabsichtlich. Der Unterschied zwischen Gehweg und Radweg ist sehr subtil: Beides ist auf gleicher Höhe und fast in derselben Farbe.
Erst wenn ein Fahrradfahrer eng vorbeifährt oder klingelt, entdeckt man, dass man auf einem Radweg steht. Als meine Eltern mich besuchten, musste ich ständig aufpassen, damit ich ihnen Bescheid geben konnte, wenn sie auf einem Radweg standen. Die Wege sind wirklich schwer zu erkennen. Man sieht jeden Tag Touristen, die verwirrt sind, die erkennen sie einfach nicht.
Die Breite der Radwege in Berlin ergibt keinen Sinn. Manche sind gerade groß genug für ein einziges Fahrrad. Aber auch die breiteren Radwege sind zu eng, um bequem überholen zu können, daher nutzen viele Radler den Gehweg mit. Natürlich kann das für die Fußgänger nervig sein.

Enger Geh- und Radweg auf gleicher Höhe – doch Platz für fünf Kfz-Spuren und einen breiten Mittelstreifen.
Also die Breite, die ist einfach falsch! Radwege müssen mindestens zwei Meter breit sein, wie in Kopenhagen. Dort kann man an manchen Stellen sogar zu viert nebeneinanderfahren, und es bleibt noch Platz zum Überholen (obwohl das von Ort zu Ort in Kopenhagen unterschiedlich ist).
Wenn man nicht nebeneinanderfahren kann, dann kann man nicht plaudern und sozial sein. So wird Fahrradfahren zu einer einsamen Angelegenheit. Oft wollte ich etwas zu meinem Reisegefährten sagen, aber von hinten oder vorne hätte ich schreien müssen. Stell dir vor, du fährst in einem Auto, in dem man nicht mit den Mitfahrern sprechen kann.
Immer wenn ein Rad- oder Fußweg zu eng ist, wird das Gespräch zerstört, weil alle im Gänsemarsch fahren oder gehen müssen. Bis ich in Berlin Fahrrad gefahren bin, habe ich nicht erkannt, wie wichtig es ist, nebeneinander radeln zu können.

Ein Radweg in Kopenhagen. Ja, das ist wahr: diese ganze breite, ebene Oberfläche steht nur für Fahrräder (und ähnliche Verkehrsmittel).
Über die Qualität und Wartung der Berliner Radwege
Ich habe die Theorie, dass man in Berlin mit dem Fahrrad keine drei Meter weit kommt, ohne über irgendeine Delle zu rumpeln. Manche Radwege bestehen nur aus Dellen. Mein Rad rasselt schon, weil seine Einzelteile durch die holprige Infrastruktur losgerüttelt wurden.
Ich verstehe nicht, warum Radwege in Berlin mit Platten ausgelegt sind. Die Platten sind total uneben, was nervig ist. Wegen des zusätzlichen Rollwiderstandes braucht man viel mehr Kraft – ganz im Gegensatz zu einer guten Asphaltdecke. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Oberfläche leichter zu warten ist. Man fährt mit dem Rad wie auf Wellen – Wellen gemacht aus den Kanten der Platten.

Leute, die mit dem Auto fahren, reisen auf ebenem Asphalt. Menschen, die das Fahrrad nutzen, sind mit holprigen Platten konfrontiert – und einer sich ständig ändernden Oberfläche.
Über Begegnungen mit Kraftfahrzeugen
In meiner Zeit hier bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass ich das Radfahren in Berlin nicht richtig genießen kann – besonders nach einer Nahtoderfahrung mit einem Bus, gefolgt von einer weiteren mit einem SUV.
Ich hatte das Glück, so wach und aufmerksam zu sein – und auch jung und agil genug – um auf den Gehweg zu springen, als der Bus mich fast angefahren hätte. Und nur weil ich ungewöhnlich langsam fuhr, hat der SUV mich nicht über den Haufen gebrettert. Wäre ich schneller gefahren, wie ich es oft tue, hätte es gekracht.
Man kann nicht darauf vertrauen, dass Autofahrer anhalten, wenn sie es sollten. Ein Freund aus Dänemark, der auch hier wohnt, glaubt, dass Autofahrer in Berlin generell nicht mit Radfahrern rechnen.
Ich fahre hier viel vorsichtiger auf Kreuzungen zu als in Dänemark, jederzeit bremsbereit, um eine Kollision zu verhindern, bei der ich ganz schlecht wegkommen würde.

Der Fahrer des silberfarbenes Autos ist halb abgebogen und blockiert die Radspur. Viele Kreuzungen sind so gestaltet, dass der Weg für Radfahrer oft versperrt ist.
Über das Radfahren auf der Straße
Der Autor dieses Blogs hatte mir von der Idee erzählt, auf der Straße zu radeln und meinen Platz dort zu erkämpfen. Davon berichtete ich sofort meinem Freund, dem anderen Dänen, der in Berlin lebt. Er lachte nur, genau wie ich es tat, als ich zum ersten Mal von dem Konzept hörte. Es ist völlig verkehrt.
Wäre mein Freund in Berlin aufgewachsen, wäre er wohl ein Radler geworden, der für das Recht kämpft, auf der Straße zu fahren. Aber das ist nur gut für diejenigen, die schnell Rad fahren und mit den Autos mithalten können. Für Kinder und Senioren zum Beispiel ist das nichts.
Ich nehme an, es liegt an Unkenntnis – wer nur schlechte Radwege erlebt hat, will auf die Straße. Ich selbst würde wahrscheinlich für das Recht kämpfen, wenn ich in Berlin aufgewachsen wäre. Natürlich nur, wenn ich ausschließlich an mich selbst denken würde.
Wenn ich an meine Großmutter denke, ergibt das Fahrbahnradeln keinen Sinn. Sie ist 81 Jahre alt, wohnt in Dänemark, und fährt fast jeden Tag mit dem Rad. Bei ihr in der Nähe gibt es echte Radwege, ein paar Meter von der Straße entfernt.
Ich weiß nicht, ob es überhaupt vorkommt, dass irgendjemand in Dänemark die Straße gegenüber den Radwegen vorzieht. Vielleicht sind das Touristen. Oder meine Erinnerung täuscht mich, weil ich jetzt zu dem Thema befragt werde.
Ich glaube nicht, dass ich ungewöhnlich bin. Jeder Däne würde erkennen, wie lächerlich es ist, grundsätzlich auf der Straße Fahrrad fahren zu wollen. Das spielt in Dänemark keine Rolle. Könnte es auch nicht.
Über das Großwerden mit dem Radfahren in Dänemark
In meiner Heimatstadt Odense hatte ich meinen eigenen breiten Radweg. Er war nicht einmal in der Nähe einer Straße. So bin ich zur Schule geradelt – auf meiner eigenen Straße nur für Fahrräder.
Ich bin aufgewachsen in einem Stadtgebiet mit einem Netz aus Radwegen, die von Auto-Fahrbahnen abgegrenzt sind. So fuhr ich den ganzen Weg von zu Hause zur Schule und überall sonst hin. Meine Familie lebte in zwei verschiedenen Häuser, und beide waren mit dem sicheren Radwegenetz verbunden.
Ich würde sagen, Odense fühlt sich sogar sicherer an als Kopenhagen. Es ist dort nicht so voll, und man radelt meist weit entfernt von der Fahrbahn. Ich glaube nicht, dass ich das damals geschätzt habe. Ich dachte, das wäre überall so.
Ich hatte eine Freiheit, die nicht möglich gewesen wäre ohne die Radwege. Meine Mutter konnte mich ruhigen Gewissens alleine Rad fahren lassen. Als Kind auf dem Weg nach Hause auf dem Radweg (eigentlich Radfahrbahn, so breit und eben war er) spielte ich in meinem Kopf selbst erfundene Spiele. Fahrrad fahren war so sicher, dass ich nicht konzentriert oder besonders aufmerksam sein musste.
Es war ganz stressfrei. Nun, das ist noch untertrieben.

Wie stressfrei Radfahren sein kann, sieht man im Umland von Odense in Dänemark. Ein Radweg führt mitten durchs Wohngebiet. Kein Auto, soweit das Auge reicht.
Über Radverkehrspolitik
Ich glaube, dass die Anzahl der Radler in Zusammenhang steht mit der Qualität der Radinfrastruktur. Berlin hat mehr Radfahrer als die schlechten Radwege erwarten lassen würden, weil so viele Leute auf den breiten Gehwegen radeln, was hier gemeinhin akzeptiert ist. Und kaum ein Kind würde hier Rad fahren, wenn es das nicht auf dem Gehweg tun dürfte.
Ich habe nie viel übers Radfahren nachgedacht, bevor ich nach Berlin umzog. Es war bloß etwas, das ich immer getan hatte, das selbstverständlich war. Hätte ich nicht zufällig bei dem Autor dieses Blogs gewohnt, hätte ich wahrscheinlich nie über das Thema nachgedacht.
Ich wäre in Berlin wahrscheinlich nicht viel mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, ohne mir über die Gründe klar zu sein. Ich radle hier nicht annähernd so viel wie in Dänemark. Es fühlt sich in Berlin einfach unsicher an.
Es gibt einen großen Unterschied beim Sicherheitsgefühl. Man muss beim Radfahren in Berlin sehr viel wachsamer sein im Vergleich zu Kopenhagen. Der Unterschied sind die Radwege, die in Kopenhagen vor dem Kfz-Verkehr geschützt sind und gleichzeitig klar vom Gehweg getrennt sind. Auf die Radwege verirren sich also keine Autos oder Fußgänger.
In Berlin scheinen Parkplätze wichtiger zu sein als Radfahrer und Fußgänger. Das ergibt kein Sinn. Ein paar Parkplätze für wenige Leute ruinieren die Bedingungen für tausende Menschen, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Sogar Bäume genießen eine höhere Priorität als Radfahrer.

Bemerkenswert, wie die Fahrbahn von der Baumreihe unberührt bleibt.
Fazit
Fahrradfahren in Berlin ähnelt oft den „Pod“-Rennen aus Star Wars.

Rechts… nein, links! Ach, fahr auf dem Gehweg…