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Wohngebiete brauchen mehr als bloß Tempo 30

Dieser Artikel wurde verfasst von Rachel Aldred, Dozentin für Verkehr an der Universität Westminster, und erschien ursprünglich auf der Website der britischen Zeitung „The Guardian“ im März 2016. Rachel Aldred ist auf nachhaltige Beförderungsarten spezialisiert und arbeitet auch ehrenamtlich mit der London Cycling Campaign.

Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler und Katja Leyendecker

Langsamer Autoverkehr, wo Menschen leben, ist ein Anfang. Aber damit wirklich mehr Menschen aufs Fahrrad steigen, brauchen wir weniger Autoverkehr – und das bedeutet, Schleichwege zu beseitigen.

Eine Tempo-30-Straße in London, mit lange Autostau. Kein platz für Radfahren.

Tempo-30-Straße in London, aber trotzdem kein angenehmes Wohngebiet, weil zu viele Autos durchfahren. (Foto: Dan Kelly)

Tempo 30 in Wohngebieten ist weit verbreitet, und es ist beliebt: Aktuelle Forschung aus dem DfT (Britisches Ministerium für Verkehr) hat gezeigt, dass 73% der Menschen Tempo-30-Zonen befürworten (entspricht 20 Meilen pro Stunde). Kampagnen für sichere Straßen haben sich gelohnt, die Unterstützung wächst immer weiter.

Niedrigere Geschwindigkeiten sind nötig, um Verletzungen zu reduzieren. Aber selbst wenn Tempo 30 ordnungsgemäß durchgesetzt würde – was fraglich ist – würde dies ausreichen? Schaffen allein Tempo-30-Zonen ruhige und lebenswerte Nachbarschaften, wo viele Menschen sich dann entscheiden, zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren? Wünschen wir uns weiterhin einen stetigen Strom von Autos in Wohnstraßen (auch wenn sie dann nur mit 30 km/h fahren), oder sollten unsere Ziele ambitionierter sein?

Im aktuellen Leitfaden der britischen Regierung und der RoSPA (Königliche Gesellschaft für Unfallverhütung) heißt es: „Es gibt ein Sicherheitsargument für die Verringerung des [Auto-] Verkehrsaufkommens, und die Möglichkeit besteht auch, dies zu umzusetzen.“ Ein langsames, großes Fahrzeug wie ein Lastwagen oder Bus kann immer noch töten, einfach wegen seiner schieren Masse.

Und es sind nicht nur große Fahrzeuge, die ein Problem darstellen. Wie die RoSPA darauf hinweist, schafft jede Autofahrt ein zusätzliches Risiko für andere, auch wenn niedrigere Geschwindigkeiten dieses Risiko reduzieren.

Mehr Autos auf Wohnstraßen bedeutet auch, dass diese Orte weniger auf den Menschen ausgerichtet sind, vor allem weniger auf Alte und Junge, die mehr Schwierigkeiten mit viel befahrenen Straßen haben und seltener ein Auto besitzen.

Eine kürzlich erschienene Studie ergab, dass die Dominanz der Autos auf Wohnstraßen die Lebensqualität junger Menschen in städtischen und ländlichen Gebieten erheblich beeinträchtigt.

Meine Kollegen am Policy Studies Institute haben den anwährenden Rückgang der unabhängigen Mobilität von Kindern untersucht, unter anderem auch das Radfahren. Sie haben festgestellt, dass Verbesserungen der Verkehrssicherheit und die Verringerung der Autoabhängigkeit notwendig sind, um die Freiheit für Kinder zurückzugewinnen.

Meine eigene Forschung stellt fest, dass viele Eltern ihren Kindern schon beim Fahrradfahren vertrauen – aber die Eltern vertrauen den Autofahrern nicht, sich vorsichtig zu verhalten. Dies wird durch Erfahrung gestützt. Oft haben Eltern beängstigende Vorfälle erlebt, selbst auf vermeintlich ruhigen Nebenstrecken – die sich als Schleichwege, also Abkürzung, der Autofahrer herausstellten.

Ein Elternteil berichtet:

„Ich musste mein Kind zwischen geparkten Autos vom Rad stoßen, um zu vermeiden, dass wir von einem Autofahrer überfahren werden, der bei hoher Geschwindigkeit aus der entgegengesetzten Richtung kam.“

In zunehmendem Maße zeigt die Erforschung solcher Beinahe-Vorfälle, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die Verkehrsentscheidungen der Menschen haben können.

Diese Fast-Unfälle sind laut einer aktuellen Studie häufig: In 1% bis 2% aller Überholvorgänge haben Autofahrer dem Radfahrer weniger als 50 cm Abstand eingeräumt. Das bedeutet, in Wohnstraßen, die von Tausenden Fahrzeugen jeden Tag benutzt werden, erleben Radfahrer viel zu enge (und erschreckende) Überholmanöver etwa einmal pro Woche. Kein Wunder, dass Eltern ihre Kinder nicht Fahrrad fahren oder alleine über die Straße gehen lassen, in solch einem Umfeld.

Wenn es keine Schleichwege gäbe, würden viele Wohnstraßen extrem ruhig werden. Zahlen des DfT ermöglichen uns abzuschätzen, wie groß der Autoverkehr auf Wohnstraßen wäre, wenn die Straßen nicht zur Abkürzung geeignet wären: Einschließlich Lieferungen, Anwohner und Besucher würden dort nur ein paar hundert Autos am Tag fahren, oder sogar weniger. Solche Straßen könnten Umgebungen sein, wo das Auto wirklich zu Gast ist und Kinder wieder frei herumlaufen und Rad fahren können.

Vorschläge, Schleichwege einzuschränken durch den Einbau von Sperren, die den Durchgangsverkehr verhindern, können allerdings umstritten sein.

Straße in den Niederlanden, Radfahrer fahren auf einem Fahrbahn, aber es gibt ein Einschränkung, und nur Radfahrer durchfahren dürfen.

Eine ehemalige Durchgangsstraße in Assen, Niederlande. Heute ist die Straße eine Durchgangsroute nur für den Radverkehr, deshalb gibt es wenig Autoverkehr. (Foto: David Hembrow)

Ein Grund dafür ist, dass wir uns daran gewöhnt haben, überall mit dem Auto fahren zu können, wo wir möchten – auch wenn es bedeutet, dass unsere Kinder nicht mehr allein das Haus verlassen dürfen. Es gibt auch Sorgen, dass das Problem nur verschoben wird und vielleicht woanders Sicherheitsprobleme verursacht.

Neue Analysen von Verkehrsunfällen können helfen, einige dieser Ängste zu nehmen. Die Daten zeigen, dass Verletzungen von Fußgängern reduziert werden, wenn der Autoverkehr auf Hauptstraßen geführt wird statt auf Nebenstraßen. Wenn sich ein Auto innerorts auf einer Nebenstraße bewegt, steigt das Risiko für Fußgänger um rund 50% im Vergleich zu einer Hauptstraße.

Im Jahr 2014 verletzten Kraftfahrzeuge in Großbritannien 7.179 Fußgänger auf städtischen Hauptstraßen und 14.168 Fußgänger auf kleineren Stadtstraßen. Die zurückgelegte Strecke auf den beiden Straßentypen betrug 49,3 Mrd. und 64,8 Mrd. Fahrzeugmeilen.

Also, Schleichwege zu verhindern kann Verletzungen von Fußgängern reduzieren. Wenn Autofahrer die Hauptstraßen nutzen müssen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass längere Strecken gefahren werden. Denn Schleichwege werden genutzt, um Staus zu umgehen, und nicht, um die Wegstrecke zu verkürzen. Oft reduzieren Schleichwegfahrten nicht mal die Reisezeit.

Was ist mit der Luftverschmutzung? Dr. Audrey de Nazelle, Experte für Luftqualität und aktive Fortbewegung, sagt:

„Wenn Nutzer von aktiven Fortbewegungsarten ein Straßennetz zur Verfügung haben, das vom Autoverkehr befreit ist, verringert das die gesundheitliche Belastung durch Luftverschmutzung. Das ist wichtig, denn die Inhalationsrate der Nutzer aktiver Fortbewegung ist höher ist als bei Nutzern von passiven Verkehrsmitteln.

Wenn das Autoverkehrsaufkommen in Wohngebieten verringert wird, steigt die Luftqualität auf diesen Straßen. Steigt der Autoverkehr und damit die Luftverschmutzung auf den umliegenden Hauptstraßen? Wahrscheinlich ein wenig – aber wenn wir uns anstrengen und den Autoverkehr auf vielen Wohnstraßen reduzieren, wird es insgesamt weniger Autoverkehr geben, was die Luftqualität insgesamt verbessert.“

Erfreulicherweise hat die Forschung festgestellt, dass das gesamte Autoverkehrsaufkommen in der Umgebung sich reduziert, wenn der Raum für den Autoverkehr verringert wird. Der Grund ist wahrscheinlich, dass die Menschen kürzere Wege eher zu Fuß gehen oder mit dem Rad zurücklegen, sofern die Straßen eine angenehme Umgebung darstellen.

Auch auf den Hauptstraßen sollten wir uns anstrengen, die Sicherheit und die Lebensqualität zu verbessern: Breitere Gehwege, mehr Fußgängerüberwege, Radwege, das Anpflanzen von Bäumen, Tempo 30, Luftqualitätszonen und politische Maßnahmen, die die Benutzung von Dieselmotoren reduzieren. Viele dieser Vorhaben werden beliebt sein: Es gibt zum Beispiel eine große öffentliche Unterstützung für Radwege an Hauptstraßen. Diese Maßnahmen sollten auch beinhalten, die Wohnstraßen den Anwohnern zurückzugeben, so dass sie die freie Wahl haben, zu radeln und zu Fuß zu gehen.

Eine ruhige Straße in London, GB. Autoen sind geparkt an beide Seiten der Straße. Vier Poller verhindern durchfahren per Auto.

Ein ehemaliger Schleichweg in London, preisgünstig umgewandelt. (Foto: CEoGB)

Ein Kommentar

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Sollte Fahrradinfrastruktur zur „Wahl“ stehen?

Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler und Katja Leyendecker

Eines der Argumente für die Aufhebung der Radwege-Benutzungspflicht in Deutschland ist, dass Radfahrern die freie Wahl gegeben werden soll, wo sie fahren – da dürfen dann erfahrene und mutige Radler auf der Fahrbahn fahren, während alle anderen die schlechten Radwege und Nebenstraßen nutzen können.

Diese Methode wurde in Großbritannien über viele Jahre ausprobiert und ist gescheitert.

Dort gibt es zum einen ein „dual network“ (duales Netz). Das bedeutet, dass verschiedene Strecken für verschiedene Radfahrer vorgesehen sind (zum Beispiel Hauptstraßen für schnelle und selbstbewusste Radler, Nebenstraßen für die anderen). Zum anderen gibt es die „dual provision“ (duale Bereitstellung), wenn eine Straße einen Radweg auf dem Gehweg hat (immer ohne Benutzungspflicht, und fast immer schrecklich, oft auch noch schlimmer als selbst die schlimmsten deutschen Radwege).

Hier präsentiere ich einige Ausschnitte aus britischen Fahrrad-Blogs und Aktionsgruppen, um zu erklären, warum „duale Fahrradrouten“ der falsche Ansatz sind, um die Allgemeinheit zum Radfahren anzuregen.

Die Fahrrad-Botschaft von Großbritannien, Wörterbucheintrag für „duales Netz“

Das unglückliche Ergebnis der dualen Denkweise sind fast immer zwei schlechte Routen Seite an Seite – in der Regel eine Radspur auf der Fahrbahn (oder nur die Fahrbahn) und ein schmaler Radweg auf dem Bürgersteig. Keine dieser Einrichtungen ermöglicht angenehmes Radfahren für alle, und die Fahrrad-Botschaft von Großbritannien lehnt sie ganz entschieden ab.

Während dieses Modell aktuell noch häufig bei der Straßenplanung in Großbritannien angewendet wird, haben englische Fahrrad-Aktivisten endlich angefangen, sich dagegen auszusprechen. Im Oktober 2013 stimmten die Mitglieder der London Cycling Campaign gegen duale Netze zugunsten einer einheitlichen Führung des Radverkehrs.

2 Lower Thames Street, London, vor und nach der Installation des Radwegs

Vorher (oben): Freie Wahl – schlechte Radspur auf dem Gehweg oder verkehrsreiche Fahrbahn.
Nachher (unten): Hochwertige, einheitliche Radinfrastruktur für alle. (Fotos: Hackney Cyclist)

Kampagne für Radfahren in London, Antrag der Hauptversammlung 2013 angenommen: „Einheitliche Radinfrastruktur, die für alle Gruppen von Radfahrern geeignet ist.“

Der Standard des gesamten geplanten Fahrradnetzes für London muss einheitlich sein. Radrouten müssen benutzerfreundlich und sicher für alle Radfahrer sein. Wir halten es für einen Fehler, wenn die Standards nur für bestimmte Bestandteile des Netzes gelten würden, sodass sie für einige Benutzer weniger geeignet wären.

Die logische Folge davon ist, dass kein Teil des Netzes eine Güterabwägung zwischen Sicherheit und Komfort erfordern sollte. In anderen Worten: Radfahrer, die den sichersten Weg wollen, sollten nicht gezwungen werden, eine umständliche oder langsamere Strecke zu nutzen, weil die schnellste oder direkte Route einem niedrigeren Sicherheitsstandard folgt.

Rachel Aldred, Dozentin für Verkehr an der Universität Westminster, Blogbeitrag über Cambridge

Der duale Ansatz hingegen zielt darauf ab, zwei Fahrradnetze bereitzustellen: Eins für die „Mutigen“ und eins für die „Nervösen“.

Was dies in der Praxis bedeutet: Auf Hauptstraßen wird eine Umgebung verewigt, die Angst vor dem Radfahren schafft, während die Mehrheit der Radler im Nebenstraßennetz ständig Umwege fahren muss.

Wir sollten nicht so denken. Unsere Fahrradnetze sollten keine Benutzer ausschließen. Wenn wir hochwertige getrennte Radinfrastruktur an Hauptstraßen bereitstellen, kann ein 12 Jahre altes Kind mit seiner Großmutter sie genauso befahren wie ein 30 Jahre alter Pendler mit seinem Rennrad.

Mit dem britischen Ansatz gab es entweder den „schnellen, robusten, aggressiven Radfahrer, der glücklich ist, auf der Straße zu fahren“ oder den „langsamen, nervösen, abwehrenden Radfahrer, der nichts dagegen hat, Ewigkeiten unterwegs zu sein“.

Keins von beiden ist toll.

David Arditti, langjährige Radaktivist und Blogger, Blogbeitrag über der Antrag der LCC Hauptversammlung

Wir wissen, dass die erfolgreichsten Fahrrad-Nationen und -Städte der Welt nur ein einziges Netz für Radfahrer entwerfen, mit einheitlichen Standards. Sie behandeln Radfahren so wie in Großbritannien Autofahren und Zu-Fuß-Gehen: als eine homogene Aktivität, die mit einem einzigen Netz versorgt wird, das für alle Menschen geeignet ist. Sie erkennen, dass Radfahrer, ob jung oder alt, schnell oder langsam, behindert oder nicht, alle im Wesentlichen das Gleiche brauchen: hochwertige Infrastruktur, die Priorität, Direktheit und sowohl objektive als auch subjektive Sicherheit bietet.

Niemand käme auf die Idee, von einem Netz von Straßen für „weniger sichere Autofahrer“ zu reden und von einem anderen für die „schnellen und mutigen Autofahrer“. Orte, die gute Radverkehrspolitik machen, behandeln auch das Fahrrad ganzheitlich. Diese Städte bauen Radinfrastruktur, die für alle Arten von Radfahrern und alle Fähigkeitsgrade funktionieren. Die Wege haben ausreichende Kapazitäten, um den Ansturm zu bewältigen. Verkehrspolitiker der führenden Fahrradstädte zeigen Haltung: Wenn ein Radweg nicht sicher genug für kleine Kinder ist, ist er nicht sicher genug für alle und damit untauglich. Und wenn der Radweg nicht bequem genug für Pendler in Eile ist, dann ist er keine attraktive Option für jedermann.

In Großbritannien behandeln wir diese Dinge in einer anderen und seltsamen Art, die eine langjährige Geschichte des Versagens hat. Wir haben oft versucht, verschiedene „Stufen“ der Fahrradinfrastruktur zu errichten, für verschiedene „Gruppen“ von Radfahrern. Alle derartigen Versuche einer parallelen Gestaltung sind tendenziell zum Misserfolg verdammt, weil sie eine faule Ausrede sind. Sie beinhalten immer einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Direktheit, Komfort und Geschwindigkeit, der nicht notwendig wäre mit einem hochwertigen Fahrradnetz.

Eine schlechte Radspur auf einem Gehweg, und Radzeichen auf eine verkehrsreiche Fahrbahn.

Schreckliche duale Radinfrastruktur in Brent, London. (Foto: David Arditti)

Mark Treasure, Vorsitzender der Fahrrad-Botschaft von Großbritannien, Blogbeitrag über das geplante Fahrradnetz im Zentrum von London

Das uralte Problem mit „dualen Netzen“ ist, dass sie zwei verschiedene Arten von Routen bieten, die beide in unterschiedlicher Weise unzureichend sind. Die ruhigen Strecken bleiben umständlich, während die Hauptstraßen feindselig bleiben und für die meisten nicht geeignet sind. Das wird mit der Begründung gerechtfertigt, dass, wenn Sie es nicht mögen, na ja, dann gibt es eine ruhige Strecke dort drüben, irgendwo anders.

Ein gutes Fahrradnetz erfordert Einheitlichkeit. Routen sollten nicht Sicherheit gegen Bequemlichkeit abwägen. Sie sollten attraktiv für alle sein. Dies ist die Essenz des niederländischen Ansatzes zur Gestaltung von Fahrradnetzen: Die Niederländer entwerfen nicht verschiedene Arten von Routen für verschiedene Menschen – weil das ein Rezept für eine schlechte Infrastruktur ist.

Mark Treasure, „Das duale Netz schlägt wieder zu“

Der Ansatz des dualen Netzes führt dazu, dass Planer denken: „Wir haben keinen Bedarf, Radinfrastruktur richtig zu machen, weil wir erwarten, dass eine große Anzahl von Radfahrern mit dem Kraftfahrzeugverkehr auf der Fahrbahn fahren werden.“

Das ist Teufelskreis – durch die geringe Qualität der Radwege entscheiden sich Menschen, die mit dem Fahrrad schnell fahren wollen, für die Fahrbahn; dann werden diese Fahrbahnradler verwendet, um die geringe Qualität der Radwege zu rechtfertigen. Es ist verrückt.

Mark Treasure, Blogbeitrag über ein Beispiel dualer Bereitstellung in London

Die Niederlande hingegen schaffen Infrastruktur, die alle gerne mit dem Fahrrad benutzen, Infrastruktur, die objektiv und subjektiv sicher, schnell und bequem für alle Benutzer ist, unabhängig von Alter, Geschwindigkeit oder körperlichen Fähigkeiten.

Mark Treasure, „Sollte Fahrradinfrastruktur zur ‚Wahl‘ stehen?“

Einige Leute glauben, die Lösung ist, Infrastruktur zu installieren, auf denen die ängstlichen Menschen schleichen können, während die Fahrbahn der richtige Ort für echte Radfahrer ist. (Vielleicht ist diese Haltung auch gefärbt von Erfahrungen mit aktuellen Radverkehrsanlagen in Großbritannien).

Natürlich ist das einfach falsch. Man kann auf nahezu jedem Radweg in den Niederlanden sehr schnell fahren. Sie sind fast immer eben und breit (und Kreuzungen und Ampeln werden in der Regel so angeordnet, dass Radfahrer Vorrang haben).

In Groningen:

Breite, ebene Radweg in Groningen, NL.

Eine Frau fahrt mit Rad auf eine breite, ebene Radweg in die Niederlande.

In Rotterdam:

Viele Leute fahren mit Räder auf einem Radweg in Rotterdam.

In Amsterdam:

Viele Leute fahren auf einem zweispurige Radweg in Amsterdam.

In Assen:

Eine zweispurige Radweg und Straßenkreuzung in Assen, die Niederlande.

Eine Radweg auf dem Land, in der Nähe von Assen, in die Niederlanden.

Und in Utrecht:

Eine bauliche getrennte Radweg in Utrecht, mit Radverkehr in beide Richtungen.

Theoretisch ist die „duale Bereitstellung“ nicht unbedingt problematisch. Es sollte möglich sein, hochwertige Infrastruktur aufzubauen, und immer noch Radler auf der Fahrbahn zu erlauben. Aber es wird leider fast sicher negative Auswirkungen geben für die Qualität der Radwege, wenn wir darauf bestehen, dass eine große Zahl von Radfahrern immer noch auf der Fahrbahn fahren will.

Stellen Sie sich ein Gespräch zwischen Radaktivisten und Straßen-Ingenieuren vor, wenn sie über neue Pläne sprechen:

Straßen-Ingenieur: Wofür sind die Fahrrad-Markierungen auf der Fahrbahn?

Radaktivisten: Sie sind für die Radfahrer, die immer noch auf der Straße fahren wollen.

Straßen-Ingenieur: Warum wollen sie das, wenn wir diese wunderbar breiten, ebenen Radwege bauen?

Radaktivisten: Weil einige Radfahrer immer noch schnell fahren wollen. Das ist nicht möglich auf Radwegen.

Straßen-Ingenieur: Ach ja, richtig, ich verstehe – die Radwege sind nur für Menschen, die nichts dagegen haben, langsam zu fahren. [Mit diesem Ziel vor Augen, entwirft der Straßen-Ingenieur minderwertige Radwege, die schmal und nur langsam zu befahren sind – also sehr ähnlich zu den schlechten Radverkehrsanlagen, die seit Jahrzehnten installiert wurden.]

 

Die Vorstellung, Radwege seien bestimmt nur für Menschen, die langsam fahren wollen, festigt schlechte Haltungen über die Frage, wie Fahrradinfrastruktur gestaltet sein sollte und führt zu noch mehr schlechten Radverkehrsanlagen.

Der richtige Ansatz ist, Radwege breit genug zu bauen, um Konflikte zu vermeiden, um wahre „Radfahrbahnen“ zu schaffen. Dies sollte der Ausgangspunkt aller Radaktivisten sein, statt eines Ausgangspunkts, der Konflikte und schlechtes Design von Anfang an als unvermeidlich annimmt.

Sorgen wir einfach dafür, dass unsere Radwege zu Radfahrbahnen werden, die nach den höchsten Standards gebaut und für jedermann geeignet sind. Geben wir niemandem die Chance anzunehmen, dass Radwege nur für nervöse Trödler wären – denn wenn wir das tun, werden wir wahrscheinlich nur schlechte Wege kriegen.

Joe Dunckley, Blogbeitrag über schlechte Gestaltungsrichtlinien aus dem britischen Verkehrsministerium

Die „Duales-Netz“-Theorie hat richtig identifiziert, dass verschiedene Fahrradfahrer unterschiedliche Bedürfnisse und Fähigkeiten haben. Aber aus dieser Tatsache werden einige falsche und sehr schädliche Schlussfolgerungen gezogen. Einsteiger, unsichere oder junge Radler fahren auf schmalen Holperpisten, während mutige Radfahrer sich dem „Nahkampf“ mit Autos, Lieferwagen und Lkw stellen. Diese Theorie besagt also, dass die Einsteiger sich etwas erkämpfen müssen. Die „Stützräder können dann abgebaut werden“, und man darf der „besten und höhsten“ Kategorie beitreten und auf der Straße Rad fahren.

Ich hätte mir gewünscht, dass duale Netze eine Sache wäre, gegen die sich alle Radfahrer vereinen könnten. Beschissene Fahrradinfrastruktur kann mehr schaden als nützen, wenn Autofahrer empört über Radfahrer sind, die eine solche Infrastruktur nicht benutzen wollen. Wenn wir keine Infrastruktur für alle fordern, werden wir etwas kriegen, das letztlich für niemanden wirklich gut ist.

Man kann das elende Ergebnis des Prinzips „duales Netz“ fast überall in britischen Städten sehen.

Duale-Bereitstellung in London. Schlechte Radweg auf der Gehweg, und Autoverkehrsreiche Fahrbahn. Zwei schlechte Möglichkeiten.

Duale Bereitstellung in London: Mieser Radweg auf der Bürgersteig und (Auto-)verkehrsreiche Fahrbahn. Zwei schlechte Möglichkeiten. (Foto: Google Maps)

 

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Wann benötigen Radfahrer geschützte Räume?

Dieser Artikel wurde von Rachel Aldred, Dozentin für Verkehr an der Universität Westminster, verfasst, und erschien ursprünglich in zwei Beiträgen in ihrem englischsprachige Blog im Juni bzw. September 2013.

Redaktionelle Mitarbeit: Andreas Hartmann

Der Autoverkehr ist für viele Menschen der Hauptgrund, sich gegen das Fahrrad zu entscheiden, und somit ein entscheidendes Hindernis für eine Zunahme des Radverkehrs.

Die meisten Menschen werden nur mit dem Fahrrad fahren, wenn ihnen ein dichtes Netz an Routen zur Verfügung steht, die entweder frei von Autoverkehr sind oder von nur wenigen Kraftfahrzeugen mit geringer Geschwindigkeit genutzt werden.

Derzeit steht vielen Menschen ein entsprechendes Netzwerk nicht zur Verfügung, so dass nur eine Minderheit die Wahlfreiheit für das Fahrrad hat. Und wir stellen außerdem fest, dass sich bestimmte Gruppen überproportional häufig gegen das Fahrrad entscheiden: z. B. Frauen, Menschenethnischer Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit geringerem Einkommen.

Eine bessere Fahrradinfrastruktur zu fordern, heißt für mich also auch: für mehr Gleichheit und soziale Gerechtigkeit einzutreten.

Die „London Cycling Campaign“ sagte seine Unterstützung für dedizierte Flächen auf Hauptstraßen für den Radverkehr zu und forderte sichere Straßen, die jeden zum Radfahren einladen. Nun musste festgelegt werden, unter welchen Bedingungen Radwege baulich vom Autoverkehr getrennt werden mussten und wann es akzeptabel war, Rad- und Autoverkehr zu mischen.

Ich glaube, dass sich Radaktivisten über diese Frage im Klaren sein müssen. Denn allzu oft gewähren Planungen für den Radverkehr nur geringfügige Änderungen am Status quo.

Von Radaktivisten wird Dankbarkeit erwartet, wenn eine der seltenen Fahrradmarkierungen auf eine Nebenstraße gemalt wird, die trotzdem recht verkehrsreich ist. Oder wenn eine weiße Linie auf der Fahrbahn gezogen wird, die Menschen auf Rädern an Kreuzungen durch abbiegende Kraftfahrzeuge gefährdet. Derzeit wird dem Fahrradfahren kaum Priorität eingeräumt, auch nicht auf wichtigen Fahrradrouten. Das Fahrrad erhält nur den Raum, der übrig bleibt, wenn die Anforderungen der „anderen Verkehrsteilnehmer“ erfüllt sind – in der Regel bedeutet das, wenn die KFZ-Fahrbahnen und Parkplätze organisiert sind.

Dieses Problem ist in der Verkehrsplanung tief verwurzelt. Und obwohl viele Planer und Politiker dies ändern möchten, stehen sie jahrzehntelangem institutionellem KFZ-Verkehr gegenüber. Meistens haben diese Personen auch keine Machtpositionen inne.

In so ein politischen Kultur müssen Aktivisten eine klare und ehrgeizige Vorstellung davon haben, wie das Fahrradfahren für jeden Menschen sicher und attraktiv gestaltet werden kann. Natürlich wird nicht in jedem Fall das ideale Ergebnis erreicht werden. Aber die Definition des Idealzustands hilft uns Aktivisten – und den modernen Planern der Zukunft – nach ehrgeizigen Zielen zu streben.

Angenommen, die zuständige Verkehrsbehörde schlägt eine wichtige Radverkehrsroute entlang einer verkehrsreichen Straße (obwohl es sich hier angeblich um eine Nebenstraße handelt) vor – ohne eine Senkung des Kfz-Aufkommens. In diesem Fall müssen die Aktivisten darauf pochen, dass ein so massiver Autoverkehr auf einer Hauptradroute nicht akzeptabel ist. Sie müssen einen Radweg für diese Straße verlangen oder fordern, dass der Großteil des Autoverkehrs von dieser Straße ferngehalten wird, z. B. durch Absperrung für den motorisierten Durchgangsverkehr.

Bei der Bewertung von Plänen, von denen behauptet wird, dass sie die Situation des Radverkehrs verbessern, müssen zunächst Aufkommen und Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs analysiert werden. Wir dürfen die zuständigen Behörden nicht mit Plänen durchkommen lassen, die keine sicheren Radrouten für alle Menschen ermöglichen. Wir müssen dann deutlich machen, an welchen Stellen zu viele Autos fahren oder zu schnell fahren und dass die Pläne unzureichend oder unbrauchbar sind.

Unabhängig davon, ob die Lösung in der Reduzierung des Kfz-Verkehrs oder in der Zuweisung von Fläche nur für das Fahrrad liegt: Der Radverkehr benötigt optimale Lösungen und die hat er auch verdient.

Verkehrsberuhigung, Reduzierung des motorisierten Verkehrs und geschützte Räume für den Radverkehr – wenn diese Maßnahmen schlecht geplant sind, sind sie auch schlecht für den Radverkehr. Autosperren, die auch Radfahrer stoppen, Fahrbahnverengungen, durch die Auto- und Radfahrer in Konflikt geraten, schmale Radwege auf dem Gehweg: Wir alle kennen diese Beispiele und wollen sie nicht mehr sehen.

Tempo 30 allein reicht nicht

Die Akzeptanz von Tempo 30 für Straßen, in denen Menschen leben, arbeiten, spielen und Fahrrad fahren, nimmt weiter zu.

Doch auch in Tempo-30-Zonen trauen sich viele Menschen nicht, Fahrrad zu fahren, wenn ihre Strecke von vielen Autos befahren wird. Selbst wenn sich die Autofahrer an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten (was nicht immer der Fall ist), kann Radfahren immer noch beschwerlich oder gefährlich sein – Lkw töten bei Geschwindigkeiten weit unter 30 km/h. Zudem ist Radfahren auf Straßen mit hohem Kfz-Verkehrsaufkommen häufig langsam und frustrierend.

Die Aussicht, sich unter Kfz-Verkehr zu mischen, der sich mit 30 km/h fortbewegt, wird kaum Menschen motivieren, aufs Rad zu steigen. Darum müssen Radaktivisten eine Vision einer sicheren und motivierenden Infrastruktur für den Radverkehr präsentieren. Darin spielen das Kfz-Verkehrsaufkommen und die Geschwindigkeiten des Kfz-Verkehrs eine wichtige Rolle.

Im niederländischen Fahrrad-Designhandbuch „CROW“ heißt es: „Hauptfahrradrouten sind vorzugsweise nicht mit dem Autoverkehr kombiniert. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, muss die Intensität des motorisierten Verkehrs auf maximal 2.000 PCU* pro Tag beschränkt und die Geschwindigkeit auf 30 km/h reduziert werden.“

An diesen Normen sollten wir alle vorgeschlagenen Fahrradrouten und „Verbesserungen“ für den Radverkehr auf bestehenden Routen messen. Die Vermischung von Rad- und Autoverkehr ist nur unter 30 km/h und 2.000 PCUs akzeptabel. Wenn Verkehrspläne dies nicht einhalten, sind sie nicht gut genug. Entweder muss Aufkommen und Geschwindigkeit des Kraftverkehrs reduziert werden, oder es sindbaulich getrennte Räume für den Radverkehr erforderlich.


* Nachtrag: Was bedeutet PCU? Alternative Methoden der Verkehrsmessung

PCU bedeutet Passenger Car Unit. Diese Zahl beziffert, wie viel Platz jeder Fahrzeugtyp innerhalb des Verkehrsflusses einnimmt. Ein typischer Pkw entspricht 1 PCU. Der Wert, der für Fahrräder häufig angegeben wird, lautet 0,2 PCU.

Aber eignet sich die PCU wirklich für die Beurteilung der Bedingungen für den Radverkehr? Schließlich handelt es sich um ein Maß für die Fahrbahnkapazität. Werden Radrouten also mit PCU-Werten analysiert, ergibt sich z. B. das Problem, dass jeder Lkw einen etwas höheren PCU-Wert erzielt als zwei Pkw. Gefährdungspotenzial und subjektive Gefährdung durch 100 Autos entsprechen allerdings nicht denen von 43 Lkw, auch wenn der PCU-Wert dies vorgaukelt.

In den Niederlanden dürfte dies ziemlich egal sein. Dort werden Standards häufig übertroffen – während wir in Großbritannien darum kämpfen müssen, überhaupt die absoluten Mindeststandards umzusetzen. Außerdem ist in den Niederlanden Rad- und Autoverkehr von einander getrennt.

Ich schlage vor, statt PCU dem Wert „VRU“ zu verwenden: Vehicle Risk Unit. Dieser Wert bezeichnet das Risiko von jedem Kfz-Typ für den Radverkehr. Nach Analyse der Daten für Verkehrsunfälle mit getöteten Radfahrern in London zwischen 1992 und 2006 habe ich für den Fahrzeugtyp einen VRU-Wert geschätzt. Mit diesen Zahlen können meiner Meinung nach die Auswirkungen der verschiedenen Fahrzeuge auf den Radverkehr besser erfasst werden.

Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt. Zum Vergleich wird auch die PCU für jeden Fahrzeugtyp genannt. (Diese Zahlen basieren auf Daten für London von 1992 bis 2006. Auch wenn weitere Daten genauere VRU-Werte ermöglichen, handelt es sich hier wahrscheinlich um eine brauchbare erste Schätzung.)

Ich denke, dass die VRU eine gute Methode zur Berechnung des maximalen Kfz-Verkehrs darstellt, wenn es darum geht, inklusive Radinfrastrukturen zu schaffen. Sie könnte neben dem niederländischen Standard von maximal 2.000 PCU pro Tag verwendet werden. (Baulich getrennte Radwege können trotzdem auch dort eingerichtet werden, wo es nur geringen Kfz-Verkehr gibt.)

Die VRU-Methode könnte einen Mentalitätswandel bewirken, hin zu einer wirklichen Berücksichtigung des Radverkehrs bei der Verkehrsplanung.

Tabelle, die ziegt Risiko zum Rafahrer, von verschiedene Verkehrsmittel

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