Schnell und effizient radeln – mit der richtigen Infrastruktur

Dieser Artikel wurde von David Hembrow verfasst und erschien ursprünglich in seinem englischsprachigen Blog „A View from the Cycle Path“ im Juli 2014.

Nur der letzte Teil des Originals ist hier veröffentlicht, weil der Text davor neue (schlechte) Radinfrastruktur in Großbritannien betrifft.

Doch der folgende Teil ist für Deutschland relevant, denn er betrifft einen oft gehörten Irrtum über Radinfrastruktur: „Radwege sind nur für langsame Radfahrer“.

Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler

Es ist verblüffend, wie viele Länder Designrichtlinien haben, die Infrastruktur enthält, die ganz gezielt Radfahrer verlangsamen soll.

Wer einen hohen Radverkehrsanteil erreichen will, muss Fahrradfahren so bequem, angenehm und sicher wie möglich machen. All diese Punkte müssen zusammenkommen, um jeden Einzelnen zu ermutigen, mit dem Rad zu fahren. Die Infrastruktur muss alle Arten des Radfahrens ermöglichen.

Während Planer in einigen Ländern versuchen, Velofahrer zu verlangsamen, betonen die niederländischen Leitlinien die Notwendigkeit, Radler zu beschleunigen. Niederländische Politik ist: Alles, was Radfahrer langsamer macht oder zu Unbehagen führen könnte, wird entfernt, damit die Menschen nicht abgeschreckt werden, ihre „Fietsen“ zu benutzen.

Ein Radweg, dass klar, breit, eben ist.

Ein neuer Radweg ohne Hindernisse

Hier ein Auszug aus den niederländischen Leitlinien, bekannt als „CROW“:

Komfort-Beeinträchtigung: Sechs Teilaspekte, die den Fahrspaß mehr oder weniger stark beeinflussen können, werden unter dem Punkt Komfort-Beeinträchtigung zusammengefasst:

  • Stoppfrequenz (Anzahl der Stopps pro Kilometer)
  • langsames Radfahren (die Zeit, in der die Geschwindigkeit unter 10 km/h fällt)
  • hohe Auslastung (Radfahren im Gänsemarsch durch Kraftfahrzeuge, Fußgänger oder andere Radfahrer)
  • Infrastruktur-Ärgernisse (Radfahren im Schneckentempo über zu schmale Wege oder an Pollern vorbei)
  • keine Vorfahrt (Anzahl der Kreuzungen ohne Vorfahrt pro Kilometer)
  • Abbiegungen (Anzahl der Abzweigungen pro Kilometer)

Häufig stoppen zu müssen, langsam fahren zu müssen, keine Vorfahrt zu haben, nicht einfach genug abbiegen zu können – all das zählt in den Niederlanden als Ärgernis. Diese Ärgernisse sind gegen das Radfahren gerichtet und werden gezielt abgebaut.

Die Niederlande erkennen an, dass das Fahrrad ein vergleichsweise langsames Verkehrsmittel ist. Selbst die schnellsten Radler erreichen nicht die Geschwindigkeiten, die leicht mit einem Auto möglich sind. Eine „niedrige Geschwindigkeit an Konfliktpunkten“ wird folgerichtig durch die Verlangsamung motorisierter Fahrzeuge erzielt, nicht durch die Verlangsamung des Radverkehrs.

Wenn Velofahrer durch enge Passagen fahren müssen, entstehen Konflikte untereinander oder mit anderen Verkehrsteilnehmern. Das gilt auch für Kreuzungen, die nicht effizient gestaltet sind. All das lässt das Fahrrad als Verkehrsmittel weniger attraktiv erscheinen. Zügiges Radeln muss leichtgemacht werden, damit das Fahrrad mit dem Auto als Verkehrsträger konkurrieren kann. Passagen, die zum Langsamfahren zwingen – auch wenn sie nur ab und zu vorkommen – sind ein Ärgernis und müssen aus dem Radwegenetz entfernt werden.

Viele Leute fahr mit Rad am ein Niederländisches Radweg

Breiter, qualitativ hochwertiger Radweg in Assen, Niederlande. Gut für entspanntes Radfahren und auch für schnelles Radfahren. Jeder ist hier sicher.

Überlegen Sie, was dieser Absatz bedeutet:

Es gibt nicht den Radfahrer mit bestimmten Standard-Eigenschaften. Im Gegenteil sind Radler in den Niederlanden sehr unterschiedlich, was Alter, Geschlecht und körperliche Merkmale angeht. Ebenso vielfältig sind die Gründe fürs Radfahren. Die Gestaltung der Infrastruktur muss daher verschiedenen Gruppen gerecht werden: Rennrad- und E-Bike-Fahrer (in Bezug auf die Auslegungsgeschwindigkeit zum Beispiel), ältere Radfahrer mit eingeschränkter Belastbarkeit (Steigungen und Durchgangszeiten) sowie junge, unerfahrene und manchmal nachlässige Radfahrer (Augenhöhe, Ampel-Disziplin, Komplexität von Kreuzungen).

Nach Meinung der Niederländer gibt es also keine „Standard-Radfahrer“; man kann und sollte sie nicht über einen Kamm scheren. Vielmehr muss die Infrastruktur alle Radfahrer unterstützen, unabhängig von ihren Fähigkeiten und körperlichen Merkmalen.

Die Gestaltung kann an verschiedenen Orten durchaus etwas abweichen – zum Beispiel, um besonders sichere Verhältnisse für Kinder in der Nähe von Schulen zu schaffen. Aber das bedeutet nicht, andere Radfahrer an dieser Stelle zu vernachlässigen. Die einzige Möglichkeit, das Fahrrad zum echten Massenverkehrsmittel zu machen, ist, die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung zu erfüllen.

Eine große Gruppe Niederländische Rennradfahrer benutzen eine Radweg

Niederländische Rennradfahrer und andere schnelle Fahrer benutzen Radwege, auch beim Fahren in großen Gruppen. Und ja, sie alle kamen über eine einzige grüne Ampelphase.

Städtische Radverkehrsanlagen in den Niederlanden sind auf mindestens 20 km/h ausgelegt (für Kurven in Radwegen auf Nebenstrecken). Auf Hauptrouten können Radler problemlos 30 km/h und mehr fahren. Denn „die Menschen müssen in der Lage sein, mit hohen Geschwindigkeiten Fahrrad zu fahren“.

Die Niederländer haben erkannt, dass Geschwindigkeiten von 40 km/h bergab nicht ungewöhnlich sind, und deshalb sollte es „viel freien Verzögerungsraum geben, ohne Kreuzungen, scharfe Kurven oder Hindernisse“.

Ein gefährliches Brücke in Cambridge, England

Ein schlechtes Beispiel aus Cambridge, GB. Am Ende des Gefälles einer Brücke gibt es eine Kurve, die dunkel gefärbte Poller verbirgt, kurz vor einer Straße, an der Radfahrer anhalten müssen. Das entspricht nicht ansatzweise der niederländischen Planungsanforderung für „freien Verzögerungsraum“.

Ja, es ist ausdrücklich Absicht, dass die Menschen sicher Fahrrad fahren können, und zwar so schnell sie wollen. Für manche kann das ein Grund sein, von anderen Verkehrsmitteln auf das Velo umzusteigen.

Wiederholen Sie nicht die bekannten Fehler: Nehmen Sie an einer Studienreise teil.

Die Häufigkeit, mit der die gleichen Fehler an anderer Stelle wiederholt werden, zeigt, dass es einen weit verbreiteten Wissensmangel gibt. Deshalb veranstaltet der renommierte Fahrradaktivist und Blogger David Hembrow – Autor der englischen Originalversion dieses Blogbeitrags – regelmäßige Studienreisen für Politiker, Planer und Aktivisten aus allen Ländern und zeigt ihnen die beste Fahrrad-Infrastruktur der Welt (Seite auf Englisch, hier).

Niedrige Ansprüche führen zu einem niedrigen Radverkehrsanteil. Das volle Potenzial des Ortes, wo Sie leben, kann nur mit der besten Infrastruktur ausgeschöpft werden. Kopieren Sie die besten Beispiele des führenden Landes für Fahrrad-Infrastruktur und passen Sie sie an Ihren Ort an. Das ist der effizienteste Weg, einen echten Anfang machen. Bis Sie die Niederlande eingeholt haben, gibt es keinen Grund zu versuchen, das Rad neu zu erfinden.

Eine Menge von abgestellte Fahrräder.

Meine Tochter ist am Wochenende zu einem Musik-Festival gegangen. Sie schickte mir dieses Foto des Fahrradabstellplatzes: Räder, soweit das Auge reicht. So sieht es aus, wenn das Fahrrad ein Massenverkehrsmittel ist – aber Bilder wie dieses können manchmal in die Irre führen. Denn die riesige Menge an Fahrrädern ist nicht nur dort wegen der Fahrradparkplätze. Noch wichtiger ist das umfassende Netz äußerst hochqualitativer Infrastruktur, die überall hinführt, die für alle Radfahrer funktioniert, ob sie in Eile sind oder nicht, und die jedem Sicherheit gibt. Das ist es, was die großen Fahrradparkplätze in den Niederlanden füllt.


Literaturhinweise

Andere Blogeinträge von David Hembrow, ins Deutsche übersetzt.

Auf Englisch, aus „A View from the Cycle Path“:

  1. Es geht schneller mit dem Fahrrad
  2. Das Netz
  3. Die Niederlande setzen das beste Beispiel – aber man sollte nicht alles nachmachen, nur weil es niederländisch ist

Auf Niederländisch:

  1. Die „CROW“ Leitlinien

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