Infrastruktur vs Helme

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Dieser Artikel wurde auch auf Englisch veröffentlicht, hier.

Redaktionelle Mitarbeit: Daniel Pöhler

Das sicherste Land der Welt zum Fahrradfahren sind die Niederlande. Und dort gibt auch das breiteste Spektrum an Radfahrern: von kleinen Kindern (das Durchschnittsalter, ab dem sie alleine fahren, ist 8 Jahre) bis hin zu Senioren (Menschen über 65 erledigen in den Niederlanden 25 Prozent ihrer Fahrten mit dem Fahrrad).

Die Niederlande sind also der sicherste Ort für Radler jeden Alters – obwohl die Helmnutzung dort nur bei 0,5 Prozent liegt (wahrscheinlich sind die wenigen Helmträger hauptsächlich Radsportler). Sicherheit auf dem Fahrrad bedeutet offenbar mehr als Styropor auf dem Kopf. Und dennoch legt sich das Bundesverkehrsministerium so für Fahrradhelme ins Zeug.

Fotos von Dutch Menschen aller Altersgruppen Radfahren auf hochwertigen Infrastruktur.

Jedes Alter und egal, wie körperlich fit – alle fahren ohne Helm. Und doch sind das die sichersten Radfahrer der Welt. (Fotos: ADfT/Mark Treasure)

Helme sind keine Antwort auf Gefahren im Straßenverkehr. In Großbritannien, es ist sehr üblich dass Radler einen Helm tragen, aber Fahrradfahrer leben dort sechsmal gefährlicher als in den Niederlanden (und das, obwohl in Großbritannien fast keine Kinder und Senioren Rad fahren).

Wenn man Radfahren wirklich sicherer machen will, sind mehr Helme keine Lösung. Sie sind vielmehr ein Indikator dafür, dass die Straßen nicht sicher sind. Wenn sich Radfahren gefährlich anfühlt, werden die Leute Helme tragen – und Warnwesten – mit oder ohne Werbung dafür.

Radfahrer in London warten an der Ampel, von Autos umgeben. Die Radfahrer tragen alle Warnwesten und Helme.

Radfahrer in London, wo Helme und Warnwesten die Norm sind. Nicht wegen einer Werbekampagne, sondern, weil sich die Menschen nicht sicher fühlen.

Eine hohe Helmnutzung sollte kein Ziel sein, sie zeigt eher das Versagen der Politik, eine peinliche Statistik. Eine hohe Helmquote zeigt, dass die Regierung mit ihrer Aufgabe, sichere Straßen bereitzustellen, kläglich gescheitert ist.

Die echte Lösung ist bessere Infrastruktur. Die Politik muss in Fahrradinfrastruktur investieren, mit der sich alle Menschen wohlfühlen und sich jederzeit zutrauen, Fahrrad zu fahren, ohne Schwierigkeiten oder Angst. Mit Kampagnen für Fahrradhelme stiehlt sich die Regierung nur aus der Verantwortung.

An Hauptverkehrsstraßen brauchen wir breite, ebene Radwege, mit guten Sichtbeziehungen an Kreuzungen, die auf höchste Sicherheit hin optimiert sind (nicht die schmalen, holprigen Radwege mit gefährlichen, schlecht geplanten Kreuzungen wie sie bislang oft in Deutschland üblich sind).

Glatt, breit, klar definierte Niederländisch Radweg. Eine Frau mit dem Fahrrad verbraucht weniger als 1/3 der Breite.

Eben, breit, klar definiert: ein niederländischer Radweg. Vielfach bewährte Sicherheit.

In Wohnstraßen brauchen wir Filterung, damit eine Nutzung als Schleichweg für Kraftfahrzeuge unmöglich ist, aber Anwohner und Besucher noch Zufahrt haben.

Poller in einem Straße in London, verhindern Kraftfahrzeuge, aber Fahrräder durchlassen.

Verkehrsmittelfilterung, die einen Schleichweg in eine ruhige Straße verwandelt. (Foto: CEoGB)

Langfristige Stadtplanung sollte darauf zielen, die Wege von Fahrrädern und Kraftfahrzeugen zu entwirren und beide Verkehrsmittel möglichst zu trennen. Der Radverkehr sollte dabei hohe Priorität genießen bei Verkehrsplanern und Stadtverwaltung. Denn wenn die Voraussetzungen stimmen, ist das Fahrrad für viele Menschen die einfachste und naheliegendste Möglichkeit, durch die Stadt zu kommen.

Aber für die Regierung ist Helmförderung ein leichter Weg, die Haftung für die Sicherheit auf das Volk abzuschieben. Dann heißt es: „Wenn Sie bei einem Unfall verletzt werden, haben Sie es sich selbst zuzuschreiben“ – anstatt Verantwortung zu übernehmen für schlecht gestaltete Straßen.


Literaturhinweise

Auf Englisch:

  1. Jeder radelt in den Niederlanden!
  2. 0.5 prozent Helmquote in NL, sind wahrscheinlich Sportler/innen
  3. Niederländisch Radfahrer über Helme sprechen
  4. Blogposts über „Transportarten entwirren“ – 1, 2, 3

12 Kommentare

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12 Antworten zu “Infrastruktur vs Helme

  1. Pingback: Infrastructure vs Helmets | The Alternative Department for Transport

  2. Pingback: Fahrrad Infrastruktur  | microbeview

  3. simon

    Gute Ansatz, abber ich widerspreche in einem Punkt: Fußgänger sollten die höchste Priorität haben… Das heißt maximale Rücksicht auf Kinder, Senioren und Menschen, die erst noch ihr Fahrrad holen müssen… 😉 Und eben auch nicht „überall Radfahren“ sondern gezielt Wege führen. 😉

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    • Ja, du hast recht. In mein ursprünglich Text, auf Englisch, ich habe „hohe Priorität“ geschrieben, aber durch meine Übersetzung und die Bearbeitung von Daniel, es war unabsichtlich geändert. Ich habe es jetzt berichtigt.

      Radeln und gehen sind Freunde, nicht Feinde! 🙂

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  4. Danke für den Text. Ich habe schon vor einiger Zeit den Helm abgelegt. Früher habe ich ihn getragen, um als Vorbild für meine Kinder zu dienen.

    Ich habe immer noch den Eindruck, dass ein Helm für Kinder sinnvoll ist. (Ist der das wirklich?)

    Aber nun habe ich mir die Frage gestellt, für wen trage ich den Helm? Für mich? Für die Autofahrer? Radfahren ist immer dann gefährlich, wenn zu wenig an die Bedürfnisse von Radfahrern gedacht wurde. Dasselbe gilt auch für Fußgänger.

    Helme machen für mich deutlich: Radfahren an sich ist gefährlich. Das ist definitiv falsch. Wehren wir uns!

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  5. Hat dies auf Radfahren! in Düren rebloggt und kommentierte:
    rebloggter Artikel von „alternativen Bundesverkehrsministerium“

    Essenz:
    An Hauptverkehrsstraßen brauchen wir breite, ebene Radwege, mit guten Sichtbeziehungen an Kreuzungen, die auf höchste Sicherheit hin optimiert sind (nicht die schmalen, holprigen Radwege mit gefährlichen, schlecht geplanten Kreuzungen wie sie bislang oft in Deutschland üblich sind).
    Langfristige Stadtplanung sollte darauf zielen, die Wege von Fahrrädern und Kraftfahrzeugen zu entwirren und beide Verkehrsmittel möglichst zu trennen. Der Radverkehr sollte dabei oberste Priorität genießen bei Verkehrsplanern und Stadtverwaltung. Denn wenn die Voraussetzungen stimmen, ist das Fahrrad für viele Menschen die einfachste und naheliegende Möglichkeit, durch die Stadt zu kommen

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  6. Edith Fasching

    „Eben, breit, klar definiert: ein niederländischer Radweg. Vielfach bewährte Sicherheit.“ Ich wüsste nicht, wo ich hier einen solchen Radweg in der Stadt finde, was aber wichtig wäre, um auch tägliche Erledigungen mit dem Rad zu machen. Im Ruhrgebiet hat man alte Industrieeisenbahntrassen zu komfortablen Radwegen ausgebaut, auf denen es sich über weite Strecken prima gefahrlos radeln lässt. Das hilft jedoch dem Radfahrer nicht, der schnell mal für kleine Besorgungen nicht das Auto verwenden möchte. Und gerade eine solche Möglichkeit, das Fahrrad täglich zu gebrauchen, führt dann zur Sicherheit auf dem Fahrrad.
    In den Niederlanden ist das Radfahren wirklich problemlos und für mich immer sehr entspannend. Dieses Gefühl stellt sich hier nicht ein.

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    • Stimmt! Und wir können für Niederländisch-Art Radinfrastruktur kämpfen. Es passiert in Großbritannien. Leider, dort drüben die Qualität oft fragwürdig ist – wir müssen die Beste fordern!

      Ich habe viel mehr Blogeintragen in der Planung…

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  7. Die Frage ist, was die in diesem Beitrag kritisierte Bundesregierung wirklich für die Radfahrinfrastruktur tun kann. Der Bund ist verantwortlich für die Bundesfernstraßen, also Autobahnen und Bundesstraßen, welche die einzelnen Zentren Deutschlands miteinander verbinden. Das sind gerade mal um die 50.000 km Straßen hier im Lande, wobei das Straßennetz insgesamt über 600.000 km aufweist. Die übrigen Straßen sind in der Verantwortung der Länder und der Kreise mit den Kommunen.

    Die durchschnittliche mit dem Fahrrad zurückgelegte Strecke ist unter vier Kilometer lang.

    Aus der Natur der Sache heraus ist also der Radverkehr besser auf kommunaler Ebene aufgehoben und dort sollten auch Planung und Bau der fahrradfreundlicher Straßen und Wege vorangetrieben werden. Die verantwortlichen Stellen und die Entscheidungsträger (Stadträte und Bürgermeister) sind vor Ort näher und mit der eigenen Umgebung vertraut. Auf lokaler Ebene lassen sich demokratische Prozesse eher in Gang bringen und durchziehen als im bundesweiten Raum. So kann gerade der Ausbau der Radwege der Gegenstand einer erfolgreichen „Grassroots“-Bewegung werden.

    Der Bund ist hingegen verfassungsrechtlich und gesetzlich auf den Bau und Unterhalt der Bundesfernstraßen beschränkt, ein Einwirken auf örtliche und regionale Wegeplanung würde von den Ländern und den Kommunen zurückgewiesen. In diesem Zusammenhang bleibt den Bundesinstitutionen nicht mehr viel mehr übrig, als auf den Kauf eines Radhelms zu drängen.

    Quintessenz: Wer sein Radfahren sicher machen will, kauft sich einen Radhelm und/oder spricht seinen Stadtrat an.

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    • Der Bund kann sehr wohl etwas und sehr viel machen!

      Angefangen bei einer besseren Förderung für Fahrradinfrastruktur, wie sie zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr oder aber auch im innerstädtischen Fern-Straßenbau schon seit Ewigkeiten betrieben wird.

      Eine weitere Möglichkeit bzw. Notwendigkeit ist die Angleichung der Baustandards auf Bundesebene. Es kann nicht sein, dass Best Practices von Ort zu Ort variieren. Es gibt sehr klare und messbare Baustandards, die abhängig von Verkehrsdichte und zu Verfügung stehendem Verkehrsraum optimale Ergebnisse hinsichtlich Unfallreduktion und Nutzerverhalten bewirken. Statt dessen setzt die eine Kommune auf Abschaffung der Benutzungspflicht, die andere auf Radspuren auf der Straße.

      Desweiteren fehlt es nach wie vor an einer einheitlichen Beschilderung, denn auch hier kocht jede Kommune ihr eigenes Süppchen. Teilweise gibt es bis zu fünf verschiedene Wegweiser für lokale und überregionale Strecken.

      Die Durchsetzung des Nationalen Radverkehrsplans ist eine Bundesangelegenheit, die von den Kommunen ohne entsprechende Anreize nicht angenommen wird, wie man sieht.

      Dort wo aktiv Fahrradpolitik auf kommunaler Ebene betrieben wird, stehen überregionale Konzepte im Hintergrund. Beispiel Baden-Württemberg, wo Radverkehrspolitik unter Grün-Rot zum Kernthema erhoben wurde und siehe Nordrhein-Westfalen, wo durch die Planung des RS1 auf Landesebene, die Kommunen aktiviert werden, mehr für den Radverkehr zu unternehmen.

      Zusammenfassend lässt sich sagen: Radverkehrsanlagenbau ist kommunale Angelegenheit. Die Rahmenbedingungen für eine optimale Umsetzung zu schaffen und die Gemeinden zu aktivieren ist aber Bundes- und Landespolitik.

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      • Vielen Dank für die Reaktion auf meinen Beitrag.

        Mir geht es in meiner Argumentation hauptsächlich darum, dass die Kräfte effizient eingesetzt werden, damit auch wirklich das Maximale für die Sache herausgeholt werden kann und keine Energie verschwendet wird.

        Sie haben ja einige Punkte aufgezählt.
        Sicherlich mag der Bund Möglichkeiten haben, deutschlandweit den Fahrradverkehr zu fördern. Fragt sich nur, ob das Sinn ergibt.

        Letzendlich konnten Sie mir auch keine wirkliche Begründung für die Notwendigkeit eines Handelns auf Bundesebene geben. Sie führen beispielsweise an, dass Baustandards auf Bundesebene angeglichen werden müssen, weil es nicht sein kann, dass „Best Practices“ von Ort zu Ort variieren. Eine schlüssige Begründung dafür fehlt mir jedoch dabei.

        Radfahren ist aus der Natur der Sache heraus eine eher lokale Angelegenheit, wie ich angeführt habe.Die durchschnittliche Strecke ist unter 4 km. Die Radler sind zumeist in der eigenen Kommune unterwegs.
        Von daher gesehen: Wozu eine einheitliche Beschilderung? Das macht doch nur für Verkehrsmittel Sinn, die überregional benutzt werden, wie das Auto. Kein Münchner wird aufs Fahrrad umsteigen, weil sie in Hamburg nun die gleichen Verkehrsschilder haben. Umgekehrt motiviert es den Hamburger genausowenig zum Radfahren.

        Der Hauptgrund, warum der Bund der falsche Ansprechpartner für Anliegen der Radfahrer ist, ist schlichtweg, dass er nicht gegen seine eigenen Interessen verstoßen wird.

        Mit einem Aufkommen von knapp 40 Mrd Euro ist die Energiesteuer die größte ausschließliche Bundessteuer. Sie macht weit mehr als 10% des Bundeshaushaltes aus, wird hauptsächlich von den Autofahrern aufgebracht und finanziert schon längst weit mehr als nur den Fernstraßenbau.
        Wenn man sich diese Relation vor Augen führt, wird verständlich, warum der Bund kein wirkliches Interesse an der Förderung des Radverkehrs haben kann und sich sein Handeln wohl eher auf blumige Aussagen im „Nationalen Radverkehrsplan“ beschränken wird, von einer wirklichen Durchsetzung ganz zu schweigen.

        Witzigerweise bin ich in dem „Nationalen Radverkehrsplan“ auf den „Wirtschaftsfaktor Fahrrad“ gestoßen. In Deutschland werden jährlich 4 Millionen Fahrräder verkauft mit einem Umsatz von 5 Mrd Euro. Damit kommen wir auf etwas über 1000 Euro pro Fahrrad.
        Dem stehen über 3 Mio Neuzulassungen an Pkw gegenüber. Durchschnittpreis über 28.000 Euro. Das macht über 4000 Euro Umsatzsteuereinnahmen pro Pkw, wobei der Anteil des Bundes über die Hälfte beträgt.

        Es leuchtet ein, dass diese handfesten Interessen einem wirklichen Engangement des Bundes für den Radverkehr entgegenstehen.
        Das kann man als Verfechter des Radfahrens sicherlich verfluchen und verteufeln. Es sind jedoch die Gegebenheiten.

        Das soll uns aber auch nicht weiter stören, weil wie ich ausgeführt habe, konnte erstens ohnehin niemand begründen, warum wir den Bund bei der Realisierung von mehr Fahrradfreundlichkeit unbedingt brauchen und wir zweitens durch Konzentration des Engagementes auf der kommunalen Ebene Mehr und Konkreteres erreichen können.

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  8. Timovic

    Ich denke auch, dass übergeordnete, verbindliche(!) Planungsrichtlinien her müssen. Die ERA2010 ist zwar ein Anfang, aber a) nicht verbindlich und b) nicht in allen Bundesländern als Planungsrichtlinie eingeführt. Davon ab halte ich persönlich sie für inhaltlich am unteren Ende dessen, was ich für gute Fahrradinfrastruktur halte. Ebenso halte ich eine einheitliche Gestaltung (bzw. Gestaltungsmerkmale) und Beschilderung für unabdingbar.
    Aber bis sich diesbezüglich etwas tut, werden wir noch viele tausend Male über schlecht abgesenkte Bordsteinkanten rumpeln müssen (mir ist in 30 Jahren kein vernünftiger Grund eingefallen, weshalb Verkehrsplaner glauben, dass Radfahrer gerne über Bordsteinkanten fahren…)

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